Kultur

„Der nackte Wahnsinn“ am Stadttheater Bielefeld

The Show must go on


(Quelle: Philipp Ottendörfer )
Heinle, Witt, Baierl, Huckle
(Quelle: Philipp Ottendörfer )
GDN - Im Stadttheater Bielefeld ist derzeit das Kultstück „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn zu erleben. Der verzweifelte Versuch einer Theatergruppe, eine Boulevardkomödie auf die Bühne zu bringen, wird von Klaus Christian Schreiber temporeich inszeniert und begeistert das Publikum.
“Empty spaces, what are we living for?
Abandoned places, I guess we know the score, on and on
Does anybody know what we are looking for?
Another hero, another mindless crime
Behind the curtain, in the pantomime
Hold the line
Does anybody want to take it anymore?”, singt Freddie Mercury in dem Song “The Show must go on” der Rockband Queen.
Huckle, Schieffer, Stürmer, Baierl, Böhm, Heinle
Quelle: Philipp Ottendörfer
„Does anybody want to take it anymore? - Will sich das noch jemand antun?“, fragt sich vermutlich auch der Regisseur Tillmann Oldenburg (Georg Böhm), als er am Landestheater Ostwestfalen kurz vor der Premiere des Stückes „Nackte Tatsachen“ steht und feststellen muss, dass die beteiligten SchauspielerInnen wenig textsicher sind, ihn mit Grundsatzdiskussionen über den Inhalt des Stückes konfrontieren und sich die Requisiten nur selten am vorgesehenen Platz befinden. Als bei allen Beteiligten die Nerven blank liegen, gibt er entnervt die Losung aus: „Wir betrachten einfach die Premiere als Generalprobe". Ein Satz, der die kommende Katastrophe ankündigt.
Nicht nur der Teller mit Sardinen, der für den verzweifelten Regisseur ein wesentliches Requisit darstellt, steht nie zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, auch einer der Darsteller verpasst stets sein Stichwort, da er hinter den Kulissen seinen Rausch ausschläft oder sich auf die Suche nach einer neuen Flasche Alkohol gemacht hat. Diese hat nach Berichten seiner Bandkollegen auch der bereits von seiner Erkrankung stark geschwächte Freddie Mercury geleert, bevor er nach der energischen Ankündigung „I'll fuckin do it, darling!“ voller Inbrunst den Text von „The Show must go on“ in einem einzigen Take einsang.
Der britische Schriftsteller Michael Frayn hat den Theaterklassiker „Der nackte Wahnsinn“ in den frühen 1980er-Jahren verfasst und seitdem befindet sich das Stück beständig auf den Spielplänen der europäischen Theater. Doch funktioniert der Humor auch 40 Jahre später noch? Die im Verlaufe des Abends ansteigenden und lauter werdenden Lachsalven des Bielefelder Publikums belegen: Wird das Stück temporeich und punktgenau inszeniert, sorgen die zahlreichen Pointen noch immer für ausgelassene Fröhlichkeit.
Die ZuschauerInnen betrachten dreimal aus unterschiedlicher Perspektive in etwa denselben Akt der Boulevardkomödie „Nackte Tatsachen", wobei jeder Teil den vorangegangenen an Irrwitz übertrifft. Zunächst findet die besagte Probe, bei der bereits wenig funktioniert, statt, bevor eine desolate Nachmittagsvorstellung während der Tournee durch die ostwestfälische Provinz zu erleben ist.
Böhm, Witt, Wehling, Heinle
Quelle: Philipp Ottendörfer
Zu guter Letzt präsentiert das bereits stark mitgenommene Ensemble die Abschlussvorstellung, bei der bereits der Vorspann unrund läuft, Teile der Kulissen abhandengekommen sind und die beanspruchte Bühnenbeleuchtung nervös flackert. Doch egal ob die Sardinen, der jeweilige Dialogpartner oder die Klinken an den Türen an Ort und Stelle sind: Die mittlerweile heillos zerstrittenen DarstellerInnen verbindet der kollektive Wille, auch diese Vorstellung zu Ende zu bringen. „My makeup may be flaking, but my smile, still, stays on - The show must go on!”
Man hätte der Gruppe Klaus Christian Schreiber als Regisseur gewünscht. Dieser hat in Bielefeld eine rasante und dem Stoff angemessen überdrehte Inszenierung im 80er-Jahre-Look geschaffen, bei der es Spaß macht zuzuschauen und die von einem hervorragenden Ensemble, das über weite Strecken das hohe Tempo und die geforderte Exaktheit bewältigt, getragen wird.
Aus den überwiegend in bewusst geschmacklose Kostüme (Wicke Naujoks) gehüllten SchauspielerInnen einzelne hervorzuheben, wäre unangemessen und griffe zu kurz. Carmen Witt, Simon Heinle, Susanne Schieffer, Alexander Stürmer, Christina Huckle, Oliver Baierl, Georg Böhm, Fabienne-Deniz Hammer und Thomas Wehling bestechen durch ihr virtuoses Zusammenspiel, bei dem jeder der Beteiligten seine großen Augenblicke hat.
Manche Gags, wie die zahlreichen Seitensprunganspielungen und Verwechslungsscherze, die verwendeten Rollenklischees, das Hosenfallenlassen sowie das Ausrutschen auf glitschigen Sardinen, erscheinen auf dem Papier etwas antiquiert, doch werden sie handwerklich gut umgesetzt und begeistern das Publikum derart, wie dieses in Bielefeld der Fall ist, hat „Der nackte Wahnsinn“ noch immer seine Berechtigung auf den Theaterspielplänen. Und somit gilt weiterhin: „Wenn links und rechts die Welt in Stücke bricht, geht nichts über einen Teller Sardinen.“ Oder: „The Show must go on, go on, go on, go on, go on, go on, go on, go on”

Für den Artikel ist der Verfasser verantwortlich, dem auch das Urheberrecht obliegt. Redaktionelle Inhalte von GDN können auf anderen Webseiten zitiert werden, wenn das Zitat maximal 5% des Gesamt-Textes ausmacht, als solches gekennzeichnet ist und die Quelle benannt (verlinkt) wird.