Kultur

Tanztheater Pina Bausch eröffnet Jubiläumsspielzeit mit “Palermo Palermo“

Als ob jemand eine Kerze angezündet hat


(Quelle: Jochen Viehoff)
GDN - Vor vierzig Jahren übernahm Pina Bausch die Leitung des Tanztheaters in Wuppertal. Zu diesem Anlass werden im Verlauf der aktuellen Spielzeit nahezu alle Stücke von ihr, auf der Bühne oder auf der Leinwand, zu sehen sein. Eröffnet wurde die Jubiläumsspielzeit mit dem Stück “Palermo Palermo“.
Als sich der Vorhang hob, nahm im immer heller werdenden Licht, eine hohe, die komplette Bühne ausfüllende Mauer, Konturen an. Urplötzlich kippte diese nach hinten und gab den Blick frei auf ein Trümmerfeld, über dem dichter Staub emporstieg. Spektakulär begann das Stück “Palermo Palermo“, das durch einen Aufenthalt der Kompanie auf Sizilien inspiriert wurde. Die Steine assoziierten sowohl die ausgetrocknete, karge Landschaft Süditaliens als auch das hohe Alter der Stadt Palermo, ihren Zerfall und Wiederaufbau. Doch auch für die immer wiederkehrenden Themen von Pina Bausch - Liebe, Träume, Einsamkeit, Trauer, kleine Glücksmomente und eine immerwährende Hoffnung - wurden im Verlaufe des Abends eindrucksvolle Bilder gefunden.
Zuvor hatte Lutz Förster, der künstlerische Leiter des Tanztheaters, das Publikum mit einleitenden Worten willkommen geheißen. Grußworte des Wuppertaler Oberbürgermeisters Peter Jung sowie des Kulturstaatssekretärs Bernd Neuendorf folgten. Sie erinnerten an den steinigen Weg, den das Tanztheater zurückgelegt hat, die Tumulte im Publikum, das laute Türenschlagen, mit dem empörte Gäste den Theatersaal verließen, die Drohungen und Anfeindungen, denen sich Pina Bausch ausgesetzt sah. Eine Zeitung rezensierte damals eines ihrer Stücke mit den Worten: “Die Musik ist sehr schön. Sie können ja die Augen schließen.“ All das hat Pina Bausch sehr weh getan, sie aber nicht von ihrem eingeschlagenen Weg abbringen können.
Mechthil Großmann
Quelle: Bettina Flitner
Das einstige Ensemblemitglied Mechthild Großmann, die einem größeren Publikum vor allem durch ihre Rolle der rauchenden Staatsanwältin im Münsteraner Tatort bekannt sein dürfte, verlas eine Rede von Pina Bausch. Die Choreografin hatte diese anlässlich der Verleihung des Kyoto Preises 2007 gehalten. Anrührend noch einmal in Pinas Worten erläutert zu bekommen, wie ein Stück von ihr entsteht. “Es geht darum, eine Sprache zu finden - mit Worten, mit Bildern, Bewegungen, Stimmungen - die etwas von dem ahnbar macht, was immer schon da ist. Aber es ist ein sehr, sehr schwieriger Prozess, es sichtbar zu machen. [...] und dann ist es, als ob jemand eine Kerze angezündet hat. [“¦] Es kommt von innen.“
Die Steine der zusammengestürzten Mauer lagen während des ganzen Abends verstreut über dem Bühnenboden. Die Tänzer und Tänzerinnen gingen, tanzten, balancierten oder sprangen über diese Steine und präsentierten dem Publikum ästhetische, akrobatische oder auch clowneske Bewegungen. Die Zuschauer folgten dem geschäftigen Treiben, das sich auf einer Piazza in Palermo ereignet haben mag. Dessen Anwohner gaben tiefe Einblicke in ihr Innerstes. Sie offenbarten ihre Sehnsüchte, ihre Trauer, ihre Leiden. Auch ein Hund lebte in dieser kargen Umgebung, bahnte sich seinen Weg durch die Trümmer, verschlang ein Picknick und ging weiter seiner Wege.
Julie Shanahan
Quelle: Detelf Erler
Während des Stückes wurde viel gesprochen. Julie Shanahan erzählte eine unendlich traurige Geschichte über einen Selbstmörder, Nazareth Panadero eine urkomische, als sie von ihren - und nur ihren! - Spaghetti redete. Zum Abschluss gab Daphnis Kokkinos dem Publikum eine Geschichte über einen Fuchs und überaus listige Gänse mit auf den Weg. Eine Erzählung voller Glauben in die Zukunft, bei der die Hoffnung über die Aussichtslosigkeit triumphierte. Mittlerweile war es Frühling geworden. Blühende Kirschbäume senkten sich vom Himmel auf die Steine herab. Dazu bewegten sich die Tänzer und Tänzerinnen im Gänsemarsch zu Dudelsackmusik über die Bühne. Ein Bild voller Zuversicht, das ebenso nachwirkte, wie die Destruktion zu Beginn des Abends.
Eher langsam begann das Publikum zu applaudieren. Doch dann tönten laute Bravorufe durch das Opernhaus. Standing Ovation für eines der legendärsten Tanzensembles der Welt. Der Applaus galt den Tänzern, denn jeder einzelne von ihnen war großartig. Der Applaus galt aber zweifelsohne auch Pina Bausch. Bereits bei der Begrüßung richtete Lutz Förster Dankesworte an seine einstige Direktorin: “Danke Pina für alles was du uns gegeben hast und immer noch gibst.“ Zusammen mit ihren Tänzerinnen und Tänzern hat Pina Bausch Momente erschaffen, die man mitnimmt, denn ein Stück von Pina Bausch als Zuschauer zu erleben, ist dem Kreieren eines neuen Stücks recht ähnlich. Es ist “als ob jemand eine Kerze angezündet hat. [...] Es kommt von innen.“

weitere Informationen: https://www.pina40.de

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