Kultur

“Die drei Räuber“ am Jungen Staatstheater Braunschweig

“Das Abenteuer ist überall“


(Quelle: Volker Beinhorn)
Alisa Levin, Anja Signitzer, Luis Lüps
(Quelle: Volker Beinhorn)
GDN - Juliane Kann hat für das Junge Staatstheater Braunschweig den Kinderbuchklassiker “Die drei Räuber“ von Tomi Ungerer überzeugend und stimmig inszeniert. Dem jungen Publikum werden ein gut harmonierendes Ensemble, tolle Kostüme, Bilder voller Poesie und eine Geschichte, die Mut macht, geboten.
“Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie was man kriegt“, ruft Tiffany mit weit ausgebreiteten Armen den jungen Zuschauern, die in den vergangenen 70 Minuten mit großen Augen die Abenteuer des unerschrockenen Mädchens verfolgt haben, zu. Wie schon Forrest Gump, vergleicht Tiffany das Dasein mit dem Leeren einer Pralinenschachtel - stets ein kleines Abenteuer, bei dem angenehme wie mitunter auch unerfreuliche Überraschungen lauern können.
Tiffany wird von drei Räubern überfallen
Quelle: Volker Beinhorn
Genau das trifft auch auf das Leben von Tiffany zu, die zu Beginn des Stückes einsam durch einen dunklen Wald schreitet. Ihre Eltern sind verstorben und nun soll sie in einem Waisenhaus untergebracht werden, was Tiffany unter allen Umständen verhindern will. Als drei finstere Räuber sie überfallen, erkennt das Mädchen in dieser eigentlich beängstigenden Situation ihre Chance. Sie überzeugt die Gauner mithilfe einer hanebüchenen Geschichte, sie zu entführen und als Beute mit in ihre Höhle zu nehmen.
Doch nicht nur für Tiffany nimmt das Leben damit eine unvorhersehbare Wendung, auch für die drei Räuber verändert sich, durch den Einzug des kessen Mädchens, so manches. Zwar verschafft Tiffany ihnen nicht das erhoffte Gold, doch stattdessen bringt sie ihnen Lesen bei und verwandelt die unwirtliche Höhle in eine ansprechende und anregende Bleibe. Doch im Waisenhaus, bei dem es sich in Wirklichkeit um eine getarnte Zuckerrübenfabrik handelt, in der Kinder skrupellos ausgebeutet werden, fahndet man bereits nach der jungen Tiffany und den drei Räubern, die einst von diesem schrecklichen Ort geflohen sind.
Als Vorlage für das Theaterstück “Die drei Räuber“ (empfohlen ab 6 Jahren), das seit dem Februar am Staatstheater Braunschweig zu sehen ist, diente der antiautoritäre Kinderbuchklassiker von Tomi Ungerer aus dem Jahre 1963 sowie dessen Verfilmung aus dem Jahre 2007. Bereits die erfolgreiche Filmadaption offenbarte, dass die Geschichte von der kleinen Tiffany und den drei im Wald lebenden Räubern zeitlos ist, weil sie Raum für Fantasie und Interpretationen lässt. "Kinder brauchen keine Kinderbücher, sondern gute Geschichten", stellte der Autor Tomi Ungerer einst fest.
In seinen Büchern hat Tomi Ungerer wiederholt Partei für die Interessen von Kinder ergriffen und auf deren Anspruch, das Leben voller Neugierde zu entdecken und eigenständig zu gestalten, gepocht. Entsprechend endet die Geschichte von Tiffany und den drei Räubern mit einer kunterbunten, von Kindern herbeigeführten Revolte, in Form einer Tortenschlacht, in deren Verlauf es der Kindergemeinschaft gelingt das Böse, symbolisiert durch die hinterlistige Tante, zu unterwerfen.
Luis Lüps, Anja Signitzer
Quelle: Volker Beinhorn
Juliane Kann hat “Die drei Räuber“ stimmig und voller Poesie inszeniert. Durch das gesamte Stück zieht sich die bezaubernde Idee, die Schauspieler mit Steppschuhen auszustatten und die Figuren mit entsprechenden Stepptanzschritten ihre aktuellen Stimmungen und Gemütslagen untermalen zu lassen. Sehr zu begrüßen ist auch die Entscheidung, dass die musikalische Begleitung durch einen Klavierspieler (Arne Ziegfeld) erfolgt, der sichtbar am linken Bühnenrand platziert ist und mehrfach in das Spiel auf der Bühne einbezogen wird. Es ist erfreulich, dass sowohl die Musik als auch Geräusche jeglicher Art nicht künstlich eingespielt werden, sondern vor den Augen der jungen Zuschauer, denen somit etwas Wahrhaftiges geboten wird, erzeugt werden.
Regisseurin Juliane Kann hat in Zusammenarbeit mit Vinzenz Gertler ein eher karges Bühnenbild entworfen, das der Fantasie der Kinder ausreichend Raum lässt. Zu Beginn schreitet Tiffany einsam und ängstlich über eine dunkle, leere Bühne, die sich im Verlaufe des Stückes zusehends in eine fröhliche, regenbogenfarbene Kinderwelt, die an die Schokoladenfabrik von Willy Wonka erinnert, verwandelt.
Eine besondere Würdigung hat sich Josephin Thomas für die fantasievollen und gelungenen Kostüme verdient. Die arbeitenden Kinder in der Zuckerrübenfabrik nehmen in ihrer Kleidung die Farben von gestreiften Zuckerstangen auf. Als sie sich zu Räubern entwickeln, verwandelt sich auch ihr Aussehen. Erneut passen sich die, mit Blättern und Baumrinde bedruckten, Kostüme der neuen Umgebung an und mithilfe der riesigen Schulterpolster verändern die grimmigen Räuber auch sogleich ihre Statur. Schließlich entspricht Tiffanys pastellfarbenes, luftiges Kostüm mit den ausladenden Rüschen ihrem verträumten, optimistischen Wesen.
Quelle: Volker Beinhorn
Quelle: Volker Beinhorn
Quelle: Volker Beinhorn
Die originellen Figuren, die Tomi Ungerer einst kreiert hat, werden von einem gut harmonierenden Ensemble verkörpert. Alisa Levin schlüpft mit ausdrucksstarker Körpersprache in die Rolle der bösen Tante, den drei Räubern, gespielt von Nina El Karsheh, Ravi Marcel Büttke und Jakob Martin Winkelmann, gelingt es, jedem einzelnen Räuber eine eigene Persönlichkeit zu verleihen. Anja Signitzer verkörpert mit viel Herz die, trotz trauriger Schicksalsschläge, unerschrockene Tiffany, die vorurteilsfrei auf die Räuber zugeht, sich mit ihnen anfreundet und deren Realität nachhaltig verändert.
Mit ihrem neugierigen, verträumten Wesen veranlasst sie die ruppigen Räuber, die sich von der Welt zurückgezogen haben und in einer Höhle im Wald leben, dazu, ihr Dasein zu hinterfragen. Die Veränderung der Räuber ist für den Autor Tomi Ungerer der zentrale Aspekt seiner Geschichte. “Ich denke immer, wir haben das Gute und das Böse in uns. Und ich sehe immer, dass wir zwischen dem Guten und dem Bösen ein Niemandsland haben. Dieses Böse über dieses Niemandsland rüber zu bringen, zu locken und es dann benutzen, um Gutes zu tun (“¦) Die drei Räuber, das sind böse Menschen. Und am Ende, was machen sie? Sie bauen Waisenhäuser und kümmern sich um verwaiste Kinder.“
“Das Abenteuer ist Überall!“
Quelle: Volker Beinhorn
“Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie was man kriegt“. Mit diesem aus dem Film “Forrest Gump“ bekannten Ausspruch endet das Stück. Tiffany, die drei Räuber und die jungen Zuschauer haben erfahren, dass das Leben manche Überraschung bereit hält, wenn man es - auch ohne über die Gewissheit zu verfügen, dass stets alles gut ausgeht - neugierig und mit Zuversicht angeht. “Das Abenteuer ist überall.“ (Tomi Ungerer)
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