Kultur

“Drei Mal Leben“ (Yasmina Reza) am Staatstheater Kassel

Die Karriere als Schlachtplan


(Quelle: N.Klinger)
(Quelle: N.Klinger)
GDN - Das Staatstheater Kassel bringt derzeit “Drei Mal Leben“, ein Stück aus der Feder der französischen Erfolgsautorin Yasmina Reza, auf die Bühne. Erfreulicherweise konzentriert sich die Inszenierung ganz auf die Stärke und Hintersinnigkeit der Dialoge, statt zu sehr ins Boulevardeske abzugleiten.
Die Zuschauer erleben wie sich aus einer Ausgangssituation drei mögliche Varianten, mit jeweils sehr unterschiedlichem Ende, entwickeln können. Das ist die Besonderheit an dem Stück “Drei Mal Leben“, das derzeit am Staatstheater Kassel zu sehen ist. Die Wissenschaft spricht vom “Schmetterlingseffekt“ und meint damit, dass selbst minimale Veränderungen einer Anfangsbedingung langfristig Entwicklungen erheblich beeinflussen und verändern können. Yasmina Reza zeigt in ihrem Stück “Drei Mal Leben“, dass dieses auch auf das Zusammenleben von Menschen übertragbar ist - kleine Ursachen, können große Wirkungen erzielen.
Henri (C.Ehrich) und Sonja (C.Dietrich)
Quelle: N.Klinger
Es ist Abend, das Kind liegt quengelnd im Bett und seine Eltern, Henri und Sonja, streiten über Erziehungsfragen, als unerwartet Hubert und Ines vor der Tür stehen, die erst am kommenden Abend erwartet wurden. Entsprechend ist nichts vorbereitet und der Abend muss improvisiert werden. Die Tatsache, dass der Astrophysiker Henri sich hinsichtlich seiner Karrierepläne abhängig von der Unterstützung des einflussreichen Hubert fühlt, macht die Situation besonders prekär. Diese ungünstige Ausgangssituation sowie die Eigenarten und Neurosen aller Beteiligten sorgen dafür, dass sich die vier Protagonisten, in wiederholt wechselnden Konstellationen, gegenseitig demütigen und sich der Abend zur unkontrollierbaren Katastrophe entwickeln könnte.
Die französische Schriftstellerin Yasmina Reza, aus deren Feder das Stück stammt, zählt zu den meistgespielten Autorinnen der Gegenwart. “Drei Mal Leben“ zählt neben “Kunst“ und “Der Gott des Gemetzels“, welches 2011 von Roman Polanski verfilmt wurde, zu ihren erfolgreichsten Stücken. Wiederholt stellt sie in ihren Werken miteinander duellierende Paare aus der bildungsnahen, gutbürgerlichen Gesellschaft in das Zentrum der oft kammerspielartigen Handlungen.
Dieses gilt auch für “Drei Mal Leben“. Mit wechselnder Parteinahme ringen zwei Ehepaare um Macht, Einfluss, Ansehen und Würde, mit der Besonderheit, dass in diesem Stück drei unterschiedliche Möglichkeiten, wie sich die Strategien und Finessen auf das jeweilige Gegenüber und dessen Psyche auswirken, durchgespielt werden. Die handelnden Protagonisten versuchen sich ins rechte Licht zu rücken, sich vermeintlich vorteilhaft zu präsentieren, ein Dasein zu kreieren. Der Schein überlagert allzu oft das Sein.
Hubert (J.Wink) & Sonja (C.Dietrich)
Quelle: N.Klinger
“Eine Karriere - das ist ein Schlachtplan“, fasst Hubert zusammen. Jedes Straucheln des Anderen, jedes Zeichen von Schwäche des Konkurrenten wird als Sieg verbucht. Doch führt dieses Taktieren tatsächlich zum erhofften Glück oder verlieren wir dadurch nicht das wirklich Bedeutsame aus dem Blick? Henris und Sonjas gemeinsames Kind, das einsam in seinem Bett ebenfalls um Aufmerksamkeit ringt, erinnert mit jeder scheinbaren Störung daran. “Was ich kritisiere, ist nicht die Gesellschaft, sondern der Mensch, den diese Gesellschaft hervorgebracht hat,“ hob Reza in einem Interview hervor.
“Drei Mal Leben“ lebt, wie so viele Stücke von Yasmina Reza, vom Dialog und weniger von aktiven Handlungen der Protagonisten. Erfreulicherweise stellt Regisseurin Eva Lange, derzeitige Oberspielleiterin an der Landesbühne Niedersachsen Nord, entsprechend den Text in das Zentrum ihrer Inszenierung und lässt die Akteure sich mit Worten duellieren. Sie verzichtet weitestgehend auf Slapstick und Klamauk, auf manchen Lacher, den man durchaus hätte provozieren können und gleitet nicht ins boulevardeske ab, was leider mitunter bei Inszenierungen von Rezas Stücken vorkommt. Die Kasseler Produktion macht bei jedem lustigen Moment deutlich, dass auch hinter einem vermeintlichen Witz Abgründe lauern können.
Henri (C.Ehrich) & Ines (C.Weiser)
Quelle: N.Klinger
Diese Form der Inszenierung lässt zwangsläufig die Schauspieler in den Fokus der Aufmerksamkeit treten. Alle vier überzeugen, wobei insbesondere Alina Rank (Sonja), deren Facettenreichtum in der Vergangenheit ohnehin von Spielzeit zu Spielzeit gewachsen ist, hervorzuheben ist, da sie äußerst kurzfristig für die erkrankte Erstbesetzung (Caroline Dietrich) einspringen musste. Aber auch Christian Ehrich, Jürgen Wink und Christina Weiser gelingt es die vielen wechselnden Gefühlszustände, die ihre jeweiligen Figuren durchleben und durchleiden müssen, überzeugend darzustellen.
In der Idee, aus einer Anfangssituation drei mögliche, alternative Varianten zu entwickeln, liegt einerseits der Reiz des Stückes, dies bringt jedoch andererseits auch Schwierigkeiten mit sich. Nicht nur für die Schauspieler stellt es eine Herausforderung dar, schlagartig eine neue Facette zu zeigen, auch die Zuschauer müssen diese Wendungen augenblicklich nachvollziehen, was es deutlich erschwert zu den Figuren eine innerliche Beziehung aufzubauen, sich zu identifizieren oder zu sympathisieren.
Zudem bleibt dadurch, dass die Szene dreimal gespielt wird, wenig Zeit sich die Figuren entwickeln zu lassen. Der Zuschauer erfährt nahezu nichts über deren Hintergründe. Was sie zu den Menschen gemacht hat, die sie nun sind, lässt sich allenfalls erahnen, weshalb mancher Wesenszug etwas plakativ und oberflächlich bleibt.

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