Kultur

“Entartete Kunst“ am Renaissance-Theater Berlin

Der Fall Cornelius Gurlitt

GDN - Derzeit ist am Berliner Renaissance-Theater das vom renommierten Autor R. Harwood verfasste Stück “Entartete Kunst“ zu sehen, das den realen Fall des Cornelius Gurlitt erzählt. Das Publikum erlebt in der Hauptrolle einen sehenswerten Udo Samel, aber auch ein Stück, das wenig Erkenntnisgewinn bringt.
Cornelius Gurlitt mahnt seine “Familie“ zur Ruhe, als es unerwartet an der Tür läutet. Bei dem ungebetenen Besuch handelt es sich um die Steuerfahndung, die im Verlauf ihrer Befragung eine Unmenge an Gemälden, die der verschrobene, ältere Herr in seiner Wohnung hortet und als seine Familie betrachtet, entdeckt und schließlich beschlagnahmt. Es stellt sich schnell heraus, dass Cornelius Gurlitt die überwiegend immens wertvollen Werke von seinem Vater, der diese während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft günstig erworben hatte, geerbt hat.
Cornelius Gurlitt war kurz zuvor bei der Einreise von der Schweiz nach Deutschland, bei der er fast 10.000 Euro Bargeld bei sich hatte, den Zollbeamten aufgefallen. Die Tatsache, dass es sich um nahezu exakt die Summe handelte, die man beim Grenzübertritt mit sich führen darf, löste Skepsis bei den Beamten aus. Es folgten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, während der ans Tageslicht kam, dass der ältere Herr offenbar nie einer geregelten Arbeit nachgegangen ist, aber auch keinerlei Zahlungen von Staat erhält, weder eine Sozialversicherung noch ein Bankkonto besitzt und niemals Steuern gezahlt hat. Er war bislang in bürokratischer Hinsicht schlicht nicht existent.
Nun stellt sich heraus, dass dieser Herr eine Sammlung moderner Kunst besitzt, deren Wert vermutlich eine Milliarde Euro übersteigt. Diesen realen Fall deckte der FOCUS 2013 auf, ebenso wie die Tatsache, dass es sich bei einigen der Kunstwerke offenbar um Raubkunst handelt. Hildebrandt Gurlitt, Cornelius Gurlitts Vater, war ein renommierter Kunsthändler, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst seine Stellung in der Leitung des Kunstvereins Hamburg einbüßte.
Doch es gelang ihm, vermutlich dank seines Fachwissens und seiner Kontakte, sich mit den Herrschern zu arrangieren. Er erhielt den Auftrag, Werke, die als “entartete Kunst“ eingestuft wurden, gewinnbringend ins Ausland zu veräußern. Offenkundig ist es Hildebrandt Gurlitt in diesem Zusammenhang gelungen, seine persönliche Sammlung zu vergrößern, wobei er dabei augenscheinlich nicht davor zurückgeschreckte, sich Bilder zu beschaffen, die ihren jüdischen Besitzern völkerrechtswidrig geraubt wurden.
Mit seinem Erbe, bestehend aus mehr als 1500 Kunstwerken, ist sein Sohn Cornelius (1932-2014) in seiner Wohnung verschwunden und lebte dort über Jahrzehnte weitestgehend unbemerkt, bis eben eines Tages die Steuerfahndung an der Tür klingelte. Diese bemerkenswerte Geschichte erzählt nun das Theaterstück von Ronald Harwood, der im Verlauf seiner Karriere bereits zahlreiche äußerst erfolgreiche Bühnenwerke verfasst und sich daneben auch als Drehbuchautor einen Namen gemacht hat. Für sein Script zum Film “Der Pianist“ (Regie: Roman Polanski) ehrte Hollywood Harwood mit einem Oscar.
Regisseur Torsten Fischer inszeniert das Stück am Berliner Renaissance-Theater souverän, mit einem guten Gespür für Timing, aber auch ein wenig glatt und harmlos.
Im Zentrum der Inszenierung steht Udo Samel, einstiges Ensemblemitglied an der Berliner Schaubühne wie am Wiener Burgtheater, der die Hauptfigur, Cornelius Gurlitt, verkörpert. Samel dabei zuzuschauen wie er dieser eigenwilligen Persönlichkeit verschiedenste Facetten verleiht, zwischen denen er unvermittelt pendelt, bereitet schlicht Vergnügen.
Samel stellt Gurlitt als einen regressiven Naivling, einen zutiefst einsamen Menschen, der aber urplötzlich zu einem anzüglichen Macho und aggressiven Tyrannen mutieren kann dar. So löst diese Figur eine zwiespältige Mischung aus Mitleid und Abscheu aus. Die weiteren auftauchenden Personen verbleiben leider überwiegend in der Rolle der Stichwortgeber für Cornelius Gurlitt, ohne dabei eine eigene, interessante Persönlichkeit zu entwickeln.
Im weiteren Verlauf des Falles Cornelius Gurlitt entwickelten sich gewichtige rechtliche wie auch moralische Fragen. So bleibt es juristisch fraglich, ob das Vorgehen der Augsburger Staatsanwaltschaft, das in der Beschlagnahmung der Gemälde gipfelte, rechtmäßig war, zumal gegen Gurlitt zunächst lediglich der unbegründete (!) Verdacht des Devisenschmuggels vorlag.
Im April 2014 wurde daher die Beschlagnahmung aufgehoben, wobei die Frage offenblieb, wie mit jenen Bildern, bei denen ein völkerrechtswidriger Entzug jüdischen Eigentums vorlag, zu verfahren sei. Selbst wenn es gelänge, die Herkunft eines Bildes zweifelsfrei zu klären und die Person, die heute einen Anspruch darauf erheben könnte, ausfindig zu machen, läge die Tat soweit in der Vergangenheit, dass sie als “verjährt“ einzustufen wäre.
“Die Geschichte meines Vaters ist eine tragische Geschichte von epischen Dimensionen“, so Cornelius Gurlitt. Sollte es dem Autor um die Erörterung des moralischen Zwielichtes gegangen sein, wäre es naheliegender gewesen, nicht Cornelius, sondern dessen Vater Hildebrandt in den Fokus seines Textes zu stellen. Dieser fiel bei den Nazis aufgrund seiner Herkunft sowie seines Faibles für moderne Kunst zunächst in Ungnade. Doch er blieb nicht Opfer, sondern arrangierte sich mit dem Regime. In seiner neuen Position gelang es ihm einerseits wertvolle Kunstschätze zu bewahren, doch dieses geschah offenkundig vorrangig mit der Absicht der persönlichen Bereicherung.
Das durchgeführte Entnazifizierungsverfahren rehabilitierte Hildebrandt Gurlitt, aufgrund seiner jüdischen Herkunft, der Tatsache, dass er nie Mitglied in einer NS-Organisation war sowie seines Einsatzes für moderne Kunst, vollständig. In den Nachkriegsjahren inszenierte sich der Kunstkenner gar als Held, der moderne Kunst vor dem Zugriff der Nazis gerettet habe.
Diese Wandlung vom Opfer zum Opportunisten und schließlich zum vermeintlichen Helden hätte ihn möglicherweise zu einem interessanteren Protagonisten für ein Theaterstück gemacht, wenn es denn die Absicht des Autors war, moralische Fragen oder opportunistisches Verhalten näher zu beleuchten, was angesichts Harwoods bisheriger Werke (“Der Pianist“, “Talking Sides“) zu vermuten ist.
Selbstverständlich stellen sich auch im Zusammenhang mit Cornelius Gurlitt ethische Fragen. Was wusste er über die Herkunft der Bilder und welche rechtliche und vor allem moralische Schuld trifft ihn daher persönlich? Er hat sich offenkundig zumindest nicht für die Herkunft seiner Erbstücke interessiert und um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten auch einzelne Bilder veräußert. Eine moralische Schuld, die im Verhalten des Vaters ihren Ursprung hat, setzt sich in ihm fort.
Doch stellt man die Person Cornelius Gurlitt in den Fokus der Betrachtung, hätten sich ganz andere Fragen aufgedrängt, die in dem Stück kaum beleuchtet werden. “Natürlich bin ich zu Hause. Wo soll ich denn sonst sein?“, antwortet er in der Anfangsszene den wartenden Steuerfahndern vor seiner Haustür. Warum entschließt sich ein gebildeter Mensch in der Blüte seines Lebens, sich in seine Wohnung zurückzuziehen, dort mit seiner Modelleisenbahn die Welt nachzugestalten und ein Leben ohne Freunde und Beziehungen zu führen?
Warum verspürt dieser Mensch offenkundig nicht den Wunsch irgendetwas Bleibendes zu schaffen? Warum ist in ihm keinerlei Drang nach Selbstverwirklichung erkennbar? Warum scheint er nicht das geringste Interesse daran zu haben, das eigene Leben aktiv zu gestalten? Was hat diesen Menschen veranlasst zu erstarren? Unter diesen psychologischen Aspekten wäre es reizvoller gewesen, das Stück zeitlich nicht in das Jahr 2013, sondern in die Zeit zu verorten, als Cornelius Gurlitt das Erbe seines Vaters angetreten hat. Die Entdeckung des Kunstschatzes, der vorrangig juristische Fragen folgten, ist letztlich lediglich die sichtbare Spitze eines Eisberges. Die sowohl moralisch als auch psychologisch entscheidenden Momente liegen in der Vergangenheit.
Da sich Cornelius Gurlitt offenkundig niemandem anvertraut hat - wem auch? -, wäre hierbei natürlich Fantasie und psychologisches Einfühlungsvermögen des Autors vonnöten gewesen, was aber im Rahmen künstlerischer Freiheit durchaus wünschenswert gewesen wäre, denn genau daran mangelt es dem Stück. Es fügt der bereits bekannten Geschichte, wie sie in den Jahren 2013 und 2014 ans Tageslicht kam und in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, keinen entscheidenden neuen und gewinnbringenden Gedanken hinzu.
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