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Belangloses Konsumfest oder traditionsreicher Brauch?

Halloween in New York


(Quelle: Mario Graß)
(Quelle: Mario Graß)
GDN - Tausende kostümierte New Yorker bewegten sich am Abend des 31.Oktobers durch Greenwich Village. Die alljährliche Halloweenparade stellt den Höhepunkt der Feierlichkeiten rund um das Fest, das in den USA ungeheuer beliebt ist, während es in Deutschland vielfach auf Unverständnis stößt, dar.
“The nation“™s most wildly creative public participatory event in the greatest city in the world!“ Mit solch großspurigen Worten warben die Veranstalter für den diesjährigen Halloween-Umzug im New Yorker Stadtteil Greenwich Village, durch dessen Straßen sich am Abend des 31.Oktobers tausende Monster, Hexen, Zombies, Außerirdische, Piraten, Cartoonfiguren, Filmcharaktere, Tiere und Skelette bewegen.
Quelle: Mario Graß
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Bei Halloween handelt es sich um ein Fest, das sich in den vergangenen Jahren in Deutschland einerseits einer zunehmend größeren Beliebtheit erfreut, dabei aber gleichzeitig verstärkt Unverständnis und Ablehnung hervorzurufen scheint. Für die einen ist es ein belangloser Spaß, für andere eine Abfolge von Geschmacklosigkeiten, manche sehen in Halloween ein reines, aus den USA importiertes Konsumungetüm, andere halten es für ein traditionsreiches Fest, dessen Wurzeln viele Jahrhunderte zurückreichen. Manche dieser Annahmen sind schlicht falsch - andere zumindest unbewiesen.
Das Wort “hallow“ leitet sich vom altenglischen “halga“ (dt. Heiliger) ab und mit der Endung “e“™en“ wurde einst der Vorabend eines Feiertages gekennzeichnet. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts existieren keine belegbaren Anzeichen dafür, dass unter “Halloween“ etwas anderes verstanden wurde, als die Bezeichnung für jenen Abend, an dem die Glocken den Gedenktag “Allerheiligen“ (1.November) einläuteten. Erst später, vorrangig in der Epoche der Romantik, traten Geisterwesen und Hexen im Zusammenhang mit diesem Abend in Erscheinung.
Die Vorstellung, am Vorabend zu Allerheiligen sei die Trennwand zwischen der Welt der Toten und dem irdischen Leben besonders durchlässig, weshalb es in jener Nacht besonders einfach sei, mit Verstorbenen - gewollt oder unerwünscht - in Kontakt zu treten, fand zunehmend Verbreitung. Vor allem im katholischen Irland etablierte sich der Brauch, mittels furchterregender Verkleidungen, die Toten und Geister abzuschrecken.
Laut “Encyclopädia Britannica“ seien die Ursprünge von Halloween bis in die Zeiten vor Christus zurückzuverfolgen und in alten keltischen Bräuchen zu finden. In der Nacht vom 31. Oktober auf den 1.November sei ursprünglich das Ende des Sommers gefeiert worden, womit alljährlich die vorübergehende Herrschaft des Gottes “Samhain“ anbreche.
Die These einer kontinuierlichen Entwicklung keltischer Bräuche zu modernen Halloweenbräuchen gilt mittlerweile jedoch als überholt und ist zumindest nicht zweifelsfrei belegbar, denn es liegt keinerlei archäologischer Fund vor, der auf die Existenz einer Gottheit namens “Samhain“ schließen lässt.
Die österreichische Ethnologin Editha Hörandner deutet die häufig unterstellten keltischen oder heidnischen Ursprünge als eine reine historische Projektion, die eher einer Sehnsucht nach überlieferten Traditionen entspringe, als nachweisbaren Fakten. Halloween, so wie es heutzutage begangen wird, habe mit diesen Vorstellungen nichts zu tun und sei keineswegs heidnisch oder keltisch geprägt. Wissenschaftlich interessanter und vielversprechender sei es, die aktuelle Entwicklung von Halloween als Reimport aus den Vereinigten Staaten zu analysieren.
Halloween wurde ursprünglich vornehmlich in katholischen Gebieten der britischen Inseln, in erster Linie in Irland, gefeiert. Die zahlreichen irischen Auswanderer des 19. Jahrhunderts brachten das Fest in die Vereinigten Staaten, wo es aufgrund seiner Attraktivität alsbald von anderen Volksgruppen übernommen wurde, sich rasch ausbreitete und sich zu einem der bedeutendsten Volksfeste des Landes entwickelte.

Auch der Brauch, zum Halloweenfest ausgehöhlte Kürbisse aufzustellen, stammt ursprünglich aus Irland, wo - laut einer Sage - einst der Bösewicht und Trunkenbold Jack Oldfield lebte. Am Abend vor Allerheiligen hockte dieser in einer Dorfkneipe. Als ihm das Geld ausging, half ihm der Teufel persönlich weiter, spendierte Jack einen letzten Drink und verlangte als Gegenzug für diese Gefälligkeit von Jack, der dieses offenbar für ein akzeptables Angebot hielt, dessen Seele.
Zehn Jahre später, abermals in der Nacht vor Allerheiligen, kehrte der Teufel zurück, um seinen verabredeten Lohn einzutreiben. Jack erbat sich als Henkersmahlzeit einen frischen Apfel, den der Teufel bereitwillig pflücken wollte. Als dieser auf einen nahen Apfelbaum klettert, zückte Jack geistesgegenwärtig sein Messer und schnitzte ein Kreuz in die Rinde des Baumstammes, wodurch der Teufel auf dem Baum gefangen war. Jack erklärte sich bereit, das Kreuz zu entfernen und trotze dem Teufel, während der nun folgenden Verhandlungen, das Versprechen ab, ihn und seine Seele bis in alle Ewigkeit zu verschonen.
Als Jack viele Jahre später starb, wurde ihm, da seine Lebensführung nicht eben vorbildlich war, im Himmel der Einlass verwehrt. Doch auch am Höllentor wurde er abgewiesen, da der Teufel sein Versprechen gegeben hatte, Jacks Seele zu verschonen. So verblieb Jack in einem dunklen, kalten Zwischenreich, erhielt zuvor jedoch vom Teufel aus Mitleid ein glühendes Stück Kohle, das Jack in eine ausgehöhlte Rübe, die er in seiner Manteltasche fand, steckte. Seitdem wandelt Jacks friedlose, verlorene Seele mit der improvisierten Laterne durch die Dunkelheit.
Mario Graß
Da in den USA Kürbisse in großen Mengen zur Verfügung standen und diese sich wohl auch als praktischer in der Verarbeitung erwiesen, wurde die Rübe allmählich durch den dickbauchigen Kürbis ersetzt, in den, um böse Geister abzuschrecken, möglichst grässliche Fratzen geschnitzt wurden. Platziert vor dem Hauseingang wurden die gestalteten Kürbisse damit betraut, in der Nacht zu Allerheiligen Haus und Hof zu bewachen.
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Die irischen Einwanderer in den USA pflegten ihre Bräuche sorgsam, um die Erinnerung an die verlassene Heimat sowie ihre eigene Identität in der Fremde zu bewahren, weshalb heutzutage Halloween vorrangig in den USA zelebriert wird. Dies trifft in besonderem Maße auf New York City, der Einwandererstadt schlechthin, zu, wo jedes Jahr im Oktober scharenweise Kinder kostümiert von Tür zu Tür ziehen, allerorts die ausgehöhlten Kürbisköpfe zu sehen sind, Hauseingänge effektvoll gestaltet werden, ganze Straßenzüge an Szenen aus einem Horrorfilm erinnern und in der gesamten Stadt spektakuläre Partys und Paraden abgehalten werden.
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Unumstrittener Höhepunkt ist alljährlich die Halloween Parade im Stadtteil Greenwich Village, die mehr als eine Millionen Zuschauern anlockt. Seit 1973 wird dieser spektakuläre Umzug veranstaltet, bei dem sich rund 35.000 verkleidete Teilnehmer, zahllose gigantische Puppen und Bands, die Musik aus aller Herren Länder erklingen lassen - schottische Dudelsackpfeifer, Sambatrommler, karibische Steelbands, moderner Dancefloor oder Discosongs der 70er Jahre sind zu hören - durch die nächtlichen Straßen New Yorks bewegen. Jeder, der möchte, darf teilnehmen. Die einzige Bedingung lautet: Eine Verkleidung muss sein!
Quelle: Mario Graß
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Mit viel Hingabe widmen sich Künstler und über 600 Freiwillige bereits im Sommer der Gestaltung der überdimensionalen, an Stöcken befestigten Puppen, die den Umzug, der jedes Jahr unter einem anderen Motto steht, anführen. In diesem Jahr lautete der Leitgedanke: Reverie (dt. Träumerei). Entsprechend surrealistisch und entrückt wirkten viele der diesjährigen Kostüme, wobei sich selbstverständlich auch die gewohnten Hexen, Geister und Zombies in die Parade einreihte.
Quelle: Mario Graß
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Zudem waren in diesem Jahr, anlässlich des ausgehenden US-Wahlkampfes und den bald erfolgenden Präsidentschaftswahlen, auch zahlreiche politische Kostüme zu sehen, mit denen nicht wenige New Yorker auf phantasievolle Weise - mit Masken, Plakaten, Perücken und Verkleidungen - zum Ausdruck brachten, dass ein Präsident Donald Trump einen wahr gewordenen Alptraum für sie bedeuten würde.
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Enthusiastisch gefeiert wurden die mehr als 100 Zombies, die - bemerkenswert synchron und angeführt von einem Doppelgänger des "King of Pops" - die originale Choreografie aus Michael Jacksons legendärem Thriller-Video tanzten. Auch die in diesem Jahr verstorbenen Musikikonen David Bowie und Prince erwachten noch einmal zum Leben und ließen sich in den Straßen New Yorks sehen.
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Bejubelt und angefeuert von Millionen Schaulustiger am Straßenrand, bewegte sich die bunte Schar vorbei am neugotischen Gebäude der Stadtbücherei, an dessen markantem Uhrenturm eine riesige animierte Spinne auf- und abwanderte und ihre monströsen Beine dem Empire State Building, das während des Umzugs mit einer spektakulären LED-Show, in den typischen Halloween-Farben, illuminiert wurde, entgegenstreckte.
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Noch lange nach dem offiziellen Abschluss der Parade hallte Michael Jacksons “Thriller“ durch die Häuserschluchten. Tausende New Yorker setzen die Halloweenfeier in Clubs, Bars oder im privaten Rahmen fort und vermutlich waren sie sich einig: Die diesjährige Halloweenparade war erneut “the nation“™s most wildly creative public participatory event in the greatest city in the world!“
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